Scharfe Kritik an „Scripted Reality“ von RTL – Politik will eingreifen
DIENSTAG, DEN 05. JULI 2011 UM 11:44 UHR
Das ARD-Politmagazin „Panorama“ beschäftigt sich an diesem Donnerstag (7. Juli) um 21.45 Uhr in einer Spezialsendung über das „Lügenfernsehen“ mit Scripted-Reality-Shows der Privatsender – dabei werden Zuschauer mit erfundenen Dialogen in die Irre geführt, eine Wirklichkeit wird nur vorgegaukelt.
Beleuchtet wird unter anderem der Fall von Ramona B., die im Fernsehen schon viele Rollen übernommen hat – egal, ob keifende Mutter oder lustlose Hartz-IV-Empfängerin. Das wahre Leben hat sie nach „Panorama“-Angaben in der RTL-„Realitäts-Sendung“ mit dem Titel „Mitten im Leben“ aber nie spielen dürfen. Vielmehr musste sie angeblich wie ein Schauspieler nach Regieanweisungen agieren.
Der Kölner Privatsender legt indes Wert auf die Feststellung, dass kein detailliertes Dialog-Drehbuch existiere, das vor Drehbeginn abgestimmt werde. RTL-Sprecher Christian Körner betonte, man wolle sich an alle Regeln halten und Verantwortung wahrnehmen. „Die Tatsache, dass Sie vier Folgen gefunden haben, die nach Ihrem Informationsstand und aus Ihrer Sicht kritisch sind, davon keine aktuelle, sondern zurückliegende aus den vergangenen drei bis vier Jahren, spricht dafür, dass die Zusammenarbeit mit beauftragten Produktionsfirmen jedenfalls in den allermeisten Fällen gerechtfertigt ist“, erklärte Körner.
Fest steht: Die Formate haben beim Publikum am Nachmittag Erfolg. Für die Landesmedienanstalten – sie sollen die Privatsender kontrollieren und deren Informationsanteil messen – ein schwieriges Thema: Hans-Jürgen Weiß und sein Institut „Göfak“ erstellen seit 1997 Programmanalysen für die Landesmedienanstalten. Selbst den Experten falle es immer schwerer zu unterscheiden, welche Formate noch echt seien und welche nicht, behauptet „Panorama“.
Erst seit kurzem ordne Weiß die „Scripted Realitys“ nicht mehr als Publizistik, sondern konsequent als Unterhaltung ein. Im Zuge dessen sank der gemessene Informationsgehalt – eine wichtigte Voraussetzung für die Lizenzerteilung als Vollprogramm – der RTL-Tochter Vox von 27 Prozent auf 15 Prozent. Dabei sei die Neueinordnung nur begrenzt möglich, weil die Sender nicht alle der fraglichen Sendungen besonders kennzeichneten, hieß es. Ungekennzeichnete Sendungen wie „Mitten im Leben“ hübschten so weiter die Statistik auf – als „Publizistik“. Dass Fiktion und Realität immer mehr vermischt werde, betrachtet Weiß als „Täuschung“ der Zuschauer.
„Wir weisen unsere Nachrichten als Information aus, unser Nachmittagsprogramm als Unterhaltung. Ein Blick in die Programmlisten der AGF hätte genügt“, betonte dagegen Körner gegenüber dem Branchendienst „Turi2“.
Scharfe Kritik aus der Politik – Maßnahmenkatalog
„Was die Privaten eben nicht einhalten, ist ihre Funktion in einer Demokratie (…). Wir können es uns nicht leisten, nur durch ein Schlichtprogramm zu informieren“, sagte der medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Börnsen „Panorama“ und geht damit auf Distanz zum Privatfernsehen. Er hält das bisherige Kontrollsystem durch die Landesmedienanstalten für nicht ausreichend, um etwa „bei den Falschdokus einen Riegel vorzuschieben“. Börnsen kündigte einen „Maßnahmenkatalog“ an, um Auswüchse zu ändern. Konkrete Maßnahmen kann die Bundesebene allerdings nicht ergreifen, da für die Privatsender die Länder zuständig sind.
Auch der ehemalige Bundesminister Christian Schwarz-Schilling, in dessen Amtszeit das Privatfernsehen in Deutschland eingeführt wurde, zeigte sich in „Panorama“ „entsetzt“ darüber, wie Information in Teilen des Programms aussieht. Er forderte die Politik auf, zu handeln. Wenn TV nicht mehr glaubwürdig sei, könne das „eine Gesellschaft in eine chaotische und falsche Richtung bringen.“
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